Friedrich Engels

 

Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland

(November 1894)


Geschrieben zwischen dem 15. und 22. November 1894.
Zuerst veröffentlicht in Die Neue Zeit, Nr.10, 13. Jahrgang, I. Band, 1894-1895.
Karl Marx u. Friedrich Engels, Werke, Bd.22, Berlin/DDR, S.483-505.
Dieser Text wurde von der ausgezeichneten Seite Klassiker des Marxismus-Leninismus kopiert, die Ende Juni 2000 plötzlich verschwunden ist. An dieser Stelle findet man jetzt die ebenso ausgezeichneten Seite, Stimmen der proletarischen Revolution.


Die bürgerlichen und reaktionären Parteien wundern sich ungemein, daß jetzt plötzlich und überall bei den Sozialisten die Bauernfrage auf die Tagesordnung kommt. Sie sollten sich, von Rechts wegen, wundern, daß dies nicht längst geschehn. Von Irland bis Sizilien, von Andalusien bis Rußland und Bulgarien ist der Bauer ein sehr wesentlicher Faktor der Bevölkerung, der Produktion und der politischen Macht. Nur zwei westeuropäische Gebiete bilden eine Ausnahme. Im eigentlichen Großbritannien hat Großgrundbesitz und große Agrikultur den selbstwirtschaftenden Bauer total verdrängt; im ostelbischen Preußen ist derselbe Prozeß seit Jahrhunderten im Gang, und auch hier wird der Bauer mehr und mehr entweder „gelegt“ oder doch ökonomisch und politisch in den Hintergrund gedrängt.

Als politischer Machtfaktor bewährt sich der Bauer bisher meist nur durch seine in der Isolierung des Landlebens begründete Apathie. Diese Apathie der großen Masse der Bevölkerung ist die stärkste Stütze nicht nur der parlamentarischen Korruption in Paris und Rom, sondern auch des russischen Despotismus. Aber sie ist durchaus nicht unüberwindlich. Seit dem Entstehen der Arbeiterbewegung ist es in Westeuropa, besonders da, wo das bäuerliche Parzelleneigentum vorherrscht, den Bourgeois nicht eben schwer geworden, der Bauernphantasie die sozialistischen Arbeiter als partageux, als „Teiler“ verdächtig und verhaßt zu machen, als faule, gierige Städter, die auf das Bauerneigentum spekulieren. Die unklaren sozialistischen Aspirationen der Februarrevolution 1848 wurden durch die reaktionären Stimmzettel der französischen Bauern rasch aus dem Weg geschafft; der Bauer, der seine Ruh’ haben wollte, holte nun noch aus dem Schatz seiner Erinnerungen die Legende vom Bauernkaiser Napoleon hervor und schuf das Zweite Kaiserreich. Wir alle wissen, was diese eine Bauerntat dem französischen Volk gekostet hat; an ihren Folgen laboriert es noch heut.

Seit jener Zeit aber hat sich manches geändert. Die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsform hat dem Kleinbetrieb in der Landwirtschaft den Lebensnerv abgeschnitten; er verfällt und verkommt unrettbar. Die Konkurrenz Nord- und Südamerikas und Indiens hat den europäischen Markt mit wohlfeilem Getreide überschwemmt, so wohlfeil, daß kein einheimischer Produzent damit konkurrieren kann. Großgrundbesitzer und Kleinbauer sehn beide gleichmäßig den Untergang vor Augen. Und da sie beide Grundbesitzer und Landleute sind, wirft sich der Großgrundbesitzer zum Vorkämpfer der Interessen des Kleinbauern auf, und der Kleinbauer – im ganzen und großen – akzeptiert diesen Vorkämpfer.

Inzwischen aber ist im Westen eine mächtige sozialistische Arbeiterpartei herangewachsen. Die dunklen Ahnungen und Gefühle aus der Zeit der Februarrevolution haben sich geklärt, ausgeweitet, vertieft zu einem allen wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Programm mit bestimmten handgreiflichen Forderungen; diese Forderungen werden vertreten im deutschen, im französischen, im belgischen Parlament von einer stets wachsenden Zahl sozialistischer Abgeordneten. Die Eroberung der politischen Macht durch die sozialistische Partei ist in absehbare Nähe gerückt. Um aber die politische Macht zu erobern, muß diese Partei vorher von der Stadt aufs Land gehn, muß eine Macht werden auf dem Land. Sie, die vor allen andern Parteien voraus hat die klare Einsicht in den Zusammenhang der ökonomischen Ursachen mit den politischen Folgen, die also auch die Wolfsgestalt unter dem Schafspelz des großgrundherrlichen zudringlichen Bauernfreunds längst erspäht hat – darf sie den dem Untergang geweihten Bauern ruhig in den Händen seiner falschen Beschützer lassen, bis er aus einem passiven in einen aktiven Gegner der industriellen Arbeiter verwandelt wird? Und damit sind wir inmitten der Bauernfrage.

 

 

I

Die Landbevölkerung, an die wir uns wenden können, besteht aus sehr verschiednen Bestandteilen, die je nach den einzelnen Gegenden wieder sehr verschiedner Art sind.

Im Westen Deutschlands, wie in Frankreich und Belgien, herrscht die kleine Kultur von Parzellenbauern vor, die in der Mehrzahl Eigentümer, in der Minderzahl Pächter ihrer Landstücke sind.

Im Nordwesten – Niedersachsen und Schleswig-Holstein – gibt es vorwiegend große und Mittelbauern, die ohne Knechte und Mägde und selbst Taglöhner nicht fertig werden. Ebenso in einem Teil von Bayern.

Im ostelbischen Preußen und Mecklenburg haben wir das Gebiet des großen Grundbesitzes und der großen Kultur mit Hofgesinde, Instleuten und Taglöhnern, dazwischen Klein- und Mittelbauern in relativ schwacher und stets abnehmender Proportion.

In Mitteldeutschland finden sich alle diese Betriebs- und Besitzformen je nach der Lokalität in verschiedenen Verhältnissen gemischt, ohne bestimmtes Vorherrschen der einen oder ändern auf einer größeren Fläche.

Außerdem gibt es Gegenden von verschiedner Ausdehnung, wo das eigne oder gepachtete Ackerland zur Ernährung der Familie nicht ausreicht, sondern nur als Grundlage dient für den Betrieb einer Hausindustrie und dieser letzteren die sonst unbegreiflichen, niedrigen Löhne sicherstellt, welche den Produkten, gegenüber aller fremden Konkurrenz, stetigen Absatz verschaffen.

Welche von diesen Unterabteilungen der Landbevölkerung können für die sozialdemokratische Partei gewonnen werden? Wir untersuchen diese Frage selbstredend nur in ihren großen Zügen; wir nehmen nur die scharf ausgeprägten Formen heraus; zur Berücksichtigung der Mittelstufen und gemischten Landbevölkerungen fehlt uns der Raum.

Fangen wir an mit dem Kleinbauer. Er ist nicht nur für Westeuropa im allgemeinen von allen Bauern der wichtigste, sondern er liefert uns auch den für die ganze Frage kritischen Fall. Sind wir uns über unsre Stellung zum Kleinbauern klar, so haben wir alle Anhaltspunkte zur Bestimmung unsrer Haltung gegenüber den andern Bestandteilen des Landvolks.

Unter Kleinbauer verstehen wir hier den Eigentümer oder Pächter – namentlich den ersteren – eines Stückchens Land, nicht größer, als er mit seiner eignen Familie in der Regel bebauen kann, und nicht kleiner, als was die Familie ernährt. Dieser Kleinbauer, wie der kleine Handwerker, ist also ein Arbeiter, der sich vom modernen Proletarier dadurch unterscheidet, daß er noch im Besitz seiner Arbeitsmittel ist; also ein Überbleibsel einer vergangnen Produktionsweise. Von seinem Vorfahren, dem leibeignen, hörigen oder sehr ausnahmsweise auch freien zins- und fronpflichtigen Bauern, unterscheidet er sich dreifach. Erstens dadurch, daß die französische Revolution ihn von den feudalen Lasten und Diensten, die er dem Grundherrn schuldete, befreit und in der Mehrzahl der Fälle, wenigstens auf dem linken Rheinufer, ihm sein Bauerngut als freies Eigen überantwortet hat. – Zweitens dadurch, daß er den Schutz und die Beteiligung an der selbstverwaltenden Markgenossenschaft und damit seinen Anteil an den Nutzungen der früheren gemeinen Mark verloren hat. Die gemeine Mark ist teils vom ehemaligen Feudalherrn, teils durch aufgeklärt-römischrechtlich-bürokratische Gesetzgebung wegeskamotiert und dem modernen Kleinbauern damit die Möglichkeit entzogen, sein Arbeitsvieh ohne gekauftes Futter zu ernähren. Ökonomisch wiegt aber der Verlust der Marknutzungen den Wegfall der Feudallasten überreichlich auf; die Zahl der Bauern, die kein eignes Arbeitsvieh halten können, wächst fortwährend. – Drittens unterscheidet der heutige Bauer sich durch den Verlust der Hälfte seiner früheren produktiven Tätigkeit. Früher erzeugte er mit seiner Familie aus selbsterzeugtem Rohstoff den größten Teil der Industrieprodukte, deren er bedurfte; was sonst noch nötig, besorgten Dorfnachbarn, die Handwerk neben dem Landbau betrieben und meist in Tauschartikeln oder Gegendiensten bezahlt wurden. Die Familie und noch mehr das Dorf genügte sich selbst, produzierte fast alles, was es brauchte. Es war fast reine Naturalwirtschaft, Geld wurde fast gar nicht benötigt. Die kapitalistische Produktion hat dem ein Ende gemacht vermittelst der Geldwirtschaft und der großen Industrie. War aber die Marknutzung die eine Grundbedingung seiner Existenz, so war der industrielle Nebenbetrieb die andere. Und so sinkt der Bauer immer tiefer. Steuern, Mißwachs, Erbteilungen, Prozesse treiben einen Bauer nach dem andern zum Wucherer, die Verschuldung wird immer allgemeiner und für jeden einzelnen immer tiefer – kurz, unser Kleinbauer ist wie jeder Überrest einer vergangnen Produktionsweise unrettbar dem Untergang verfallen. Er ist ein zukünftiger Proletarier.

Als solcher sollte er der sozialistischen Propaganda offne Ohren leihen. Daran aber verhindert ihn einstweilen noch sein eingefleischter Eigentumssinn. Je schwerer ihm der Kampf wird um sein gefährdetes Fetzchen Land, mit desto gewaltsamerer Verzweiflung klammert er sich daran fest, um so mehr sieht er im Sozialdemokraten, der von Überweisung des Grundeigentums an die Gesamtheit spricht, einen ebenso gefährlichen Feind wie im Wucherer und Advokaten. Wie soll die Sozialdemokratie dies Vorurteil überwinden? Was kann sie dem untergehenden Kiembauer bieten, ohne sich selbst untreu zu werden?

Hier finden wir einen praktischen Anhaltspunkt im Agrarprogramm der französischen Sozialisten marxistischer Richtung, das um so beachtenswerter ist, weil es aus dem klassischen Land der Kleinbauernwirtschaft kommt.

Auf dem Marseiller Kongreß 1892 wurde das erste Agrarprogramm der Partei angenommen. Es verlangt für die besitzlosen ländlichen Arbeiter (also Taglöhner und Hofgesinde): Minimallohn, durch Fachvereine und Gemeinderäte festgesetzt; ländliche Gewerbegerichte, zur Hälfte aus Arbeitern bestehend; Verbot des Verkaufs von Gemeindeland und Verpachtung der Staatsdomänen an die Gemeinden, die dies sämtliche eigne und gepachtete Land an Assoziationen besitzloser Landarbeiterfamilien zur gemeinsamen Bebauung, unter Verbot der Anwendung von Lohnarbeitern und unter Kontrolle der Gemeinde, vermieten sollen; Alters- und Invaliditätspensionen, bestritten durch eine besondre Steuer auf das Großgrundeigentum.

Für die Kleinbauern, worunter hier noch die Pächter speziell berücksichtigt werden, wird gefordert: Anschaffung von landwirtschaftlichen Maschinen durch die Gemeinde, zur Vermietung zum Kostpreis an die Bauern; Bildung bäuerlicher Genossenschaften zum Ankauf von Dünger, Drainröhren, Aussaat etc. und zum Verkauf der Produkte; Aufhebung der Steuer auf den Eigentumswechsel von Grundbesitz, wenn der Wert nicht über 5.000 frs. beträgt; schiedsrichterliche Kommissionen nach irischem Muster zur Herabsetzung übermäßiger Pachtpreise und zur Entschädigung der abtretenden Pächter und Teilpächter (metayers) für durch sie erwirkte Wertsteigerung des Grundstücks; Abschaffung des Art. 2102 des Code civil, der dem Grundeigentümer ein Pfandrecht auf die Ernte gibt, und Abschaffung des Rechts der Gläubiger, die wachsende Ernte zu pfänden; Feststellung eines unpfändbaren Bestands von Ackergerät, Ernte, Aussaat, Dünger, Arbeitsvieh, kurz von allem, was dem Bauern zum Betrieb seines Geschäfts unumgänglich ist; Revision des längst veralteten allgemeinen Landeskatasters und bis dahin lokale Revision in jeder Gemeinde; endlich unentgeltlichen landwirtschaftlichen Fortbildungsunterricht und landwirtschaftliche Versuchsstationen.

Man sieht, die Forderungen im Interesse der Bauern – die zugunsten der Arbeiter gehn uns hier einstweilen nichts an – sind nicht sehr weitgehend. Ein Teil davon ist anderwärts schon durchgeführt. Die Pächter-Schiedsgerichte berufen sich ausdrücklich auf irisches Vorbild. Die bäuerlichen Genossenschaften bestehn schon in den Rheinlanden. Die Katasterrevision ist in ganz Westeuropa ein stehender frommer Wunsch aller Liberalen und selbst Bürokraten. Auch die übrigen Punkte könnten durchgeführt werden, ohne der bestehenden kapitalistischen Ordnung wesentlichen Schaden zu tun. Dies einfach zur Charakterisierung des Programms; ein Vorwurf liegt nicht dann, im Gegenteil.

Mit diesem Programm machte die Partei bei den Bauern der verschiedensten Gegenden Frankreichs so gute Geschäfte, daß – der Appetit kommt ja mit dem Essen – man sich gedrungen fühlte, es noch weiter dem Geschmack der Bauern anzupassen. Man fühlte allerdings, daß man sich da auf gefährlichen Boden begab. Wie sollte man dem Bauer helfen können, dem Bauer nicht als zukünftigem Proletarier, sondern als gegenwärtigem besitzenden Bauer, ohne die Grundprinzipien des allgemeinen sozialistischen Programms zu verletzen? Um diesem Einwand zu begegnen, leitete man die neuen praktischen Vorschläge ein mit einer theoretischen Motivierung, welche nachzuweisen sucht, daß es im Prinzip des Sozialismus liegt, das kleinbäuerliche Eigentum gegen den Untergang durch die kapitalistische Produktionsweise zu schützen, obwohl man selbst vollkommen einsieht, daß dieser Untergang unvermeidlich ist. Diese Motivierung wie die Forderungen selbst, die im September d.J. auf dem Kongreß von Nantes angenommen wurden, wollen wir uns jetzt näher ansehn.

Die Motivierung beginnt:

„In Erwägung, daß nach dem Wortlaut des allgemeinen Programms der Partei die Produzenten frei sein können nur soweit sie sich im Besitz der Produktionsmittel befinden;

in Erwägung, daß zwar auf dem Gebiet der Industrie diese Produktionsmittel bereits bis zu dem Grad kapitalistisch zentralisiert sind, daß sie den Produzenten nur in gemeinschaftlicher oder gesellschaftlicher Form zurückgegeben werden können; daß dies aber – wenigstens im heutigen Frankreich – auf dem Gebiet des Landbaus keineswegs der Fall ist, das Produktionsmittel, nämlich der Boden, vielmehr noch in sehr vielen Orten sich als Einzelbesitz in den Händen der einzelnen Produzenten befindet;

in Erwägung, daß, wenn dieser durch das Parzelleneigentum charakterisierte Zustand unrettbar dem Untergang geweiht ist (est fatalement appelé à disparaître), dennoch der Sozialismus diesen Untergang nicht zu beschleunigen hat, da ja seine Aufgabe nicht darin besteht, das Eigentum von der Arbeit zu scheiden, sondern im Gegenteil in denselben Händen diese beiden Faktoren aller Produktion zu vereinigen, Faktoren, deren Trennung die Knechtschaft und das Elend der zu Proletariern herabgedrückten Arbeiter zur Folge hat;

in Erwägung, daß, wenn es einerseits die Pflicht des Sozialismus ist, die Ackerbauproletarier wieder in den Besitz – in gemeinschaftlicher oder gesellschaftlicher Form – der großen Domänen zu setzen, nach Enteignung der jetzigen müßigen Eigentümer derselben, es andrerseits seine nicht weniger gebieterische Pflicht ist, die selbstarbeitenden Bauern im Besitz ihrer Landstückchen zu erhalten gegenüber dem Fiskus, dem Wucher und den Eingriffen der neuerstandnen großen Grundherren;

in Erwägung, daß es angemessen ist, diesen Schutz auszudehnen auf die Produzenten, die unter dem Namen Pächter oder Teilpächter (metayers) fremdes Land bebauen und die, wenn sie Taglöhner ausbeuten, dazu gewissermaßen gezwungen sind durch die an ihnen selbst verübte Ausbeutung –

hat die Arbeiterpartei – die, im Gegensatz zu den Anarchisten, für die Umgestaltung der gesellschaftlichen Ordnung nicht auf die Steigerung und Ausbreitung des Elends rechnet, sondern die Befreiung der Arbeit und der Gesellschaft überhaupt nur erwartet von der Organisation und den gemeinsamen Anstrengungen der Arbeiter sowohl des Landes wie der Städte, von ihrer Besitzergreifung der Regierung und der Gesetzgebung – das folgende Agrarprogramm angenommen, um dadurch alle Elemente der ländlichen Produktion, alle Tätigkeiten, die unter verschiedenen Rechtstiteln den nationalen Grund und Boden verwerten, zusammenzubringen in demselben Kampf gegen den gemeinsamen Feind: die Feudalität des Grundbesitzes.“

Sehen wir uns nun diese „Erwägungen“ etwas näher an. Zunächst muß der Satz des französischen Programms, daß die Freiheit der Produzenten den Besitz der Produktionsmittel voraussetzt, ergänzt werden durch die gleich darauf folgenden: daß der Besitz der Produktionsmittel nur in zwei Formen möglich ist: entweder als Einzelbesitz, welche Form nie und nirgends allgemein für die Produzenten bestanden hat und täglich mehr durch den industriellen Fortschritt unmöglich gemacht wird; oder aber als Gemeinbesitz, eine Form, deren materielle und intellektuelle Voraussetzungen schon durch die Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft selbst hergestellt worden sind; daß also die gemeinschaftliche Besitzergreifung der Produktionsmittel zu erkämpfen ist mit allen dem Proletariat zur Verfügung stehenden Mitteln.

Der Gemeinbesitz der Produktionsmittel wird also hier als einziges zu erstrebendes Hauptziel aufgestellt. Nicht nur für die Industrie, wo der Boden schon vorbereitet ist, sondern allgemein, also auch für die Agrikultur. Der Einzelbesitz hat nach dem Programm nie und nirgends allgemein für alle Produzenten gegolten; ebendeshalb, und weil der industrielle Fortschritt ihn ohnehin beseitigt, hat der Sozialismus kein Interesse an seiner Aufrechterhaltung, wohl aber an seiner Beseitigung; denn da, wo und soweit er besteht, macht er den Gemeinbesitz unmöglich. Wenn wir uns einmal auf das Programm berufen, dann auch auf das ganze Programm, das den in Nantes zitierten Satz sehr bedeutend modifiziert, indem es die darin ausgesprochene allgemein-geschichtliche Wahrheit erst in die Bedingungen faßt, unter denen allein sie heute in Westeuropa und Nordamerika eine Wahrheit bleiben kann.

Der Besitz der Produktionsmittel durch die einzelnen Produzenten verleiht heutzutage diesen Produzenten keine wirkliche Freiheit mehr. Das Handwerk in den Städten ist schon ruiniert, in Großstädten wie London ist es sogar schon total verschwunden, ersetzt durch Großindustrie, Schwitzsystem und elende Pfuscher, die vom Bankerott leben. Der selbstwirtschaftende Kleinbauer ist weder im sichern Besitz seines Stückchens Land, noch ist er frei. Er wie sein Haus, sein Hof, seine paar Felder gehören dem Wucherer; seine Existenz ist unsicherer als die des Proletariers, der wenigstens dann und wann ruhige Tage erlebt, was dem gepeinigten Schuldsklaven nie vorkommt. Streicht den Artikel 2102 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, sichert dem Bauern durchs Gesetz einen unpfändbaren Bestand an Ackergerät, Vieh etc.; gegen eine Zwangslage, worin er sein Vieh „freiwillig“ selbst verkaufen, wo er sich mit Leib und Seele dem Wucherer verschreiben muß und froh ist, sich eine Galgenfrist zu erkaufen, könnt ihr ihn nicht sichern. Euer Versuch, den Kleinbauern in seinem Eigentum zu schützen, schützt nicht seine Freiheit, sondern nur die besondere Form seiner Knechtschaft; sie verlängert eine Lage, worin er weder leben noch sterben kann; die Berufung auf den ersten Absatz eures Programms ist also hier keineswegs am Platz.

Die Motivierung sagt, im heutigen Frankreich befinde sich das Produktionsmittel, nämlich der Boden, noch an sehr vielen Orten als Einzelbesitz in den Händen der einzelnen Produzenten; die Aufgabe des Sozialismus aber sei nicht, das Eigentum von der Arbeit zu scheiden, sondern im Gegenteil, diese beiden Faktoren aller Produktion in denselben Händen zu vereinigen. – Wie bereits angedeutet, ist letzteres in dieser Allgemeinheit keineswegs die Aufgabe des Sozialismus; seine Aufgabe ist vielmehr nur die Übertragung der Produktionsmittel an die Produzenten als Gemeinbesitz. Sobald wir dies aus den Augen lassen, führt uns obiger Satz direkt in die Irre, nämlich dahin, daß der Sozialismus berufen sei, das jetzige Scheineigentum des kleinen Bauern an seinen Feldern in wirkliches zu verwandeln, also den kleinen Pächter in einen Eigentümer und den verschuldeten in einen schuldenfreien Eigentümer. Der Sozialismus hat allerdings ein Interesse daran, daß dieser falsche Schein des bäuerlichen Eigentums verschwinde; aber nicht auf diese Art.

Jedenfalls sind wir nun so weit, daß die Motivierung es schlankweg für die Pflicht des Sozialismus erklären kann, und zwar für seine gebieterische Pflicht,

„die selbstarbeitenden Bauern im Besitz ihrer Landstückchen zu erhalten gegenüber dem Fiskus, dem Wucher und den Eingriffen der neuerstandenen großen Grundherren“.

Die Motivierung überträgt hiermit dem Sozialismus die gebieterische Pflicht, etwas durchzuführen, was sie im vorigen Absatz für unmöglich erklärt hat. Sie gibt ihm auf, das Parzelleneigentum der Bauern zu „erhalten“, trotzdem sie selbst sagt, dies Eigentum sei „unrettbar dem Untergang geweiht“. Der Fiskus, der Wucher und die neuerstandnen großen Grundherren, was sind sie anders als nur die Instrumente, durch welche die kapitalistische Produktion diesen unvermeidlichen Untergang vollzieht? Mit welchen Mitteln „der Sozialismus“ den Bauer gegen diese Dreieinigkeit schützen soll, werden wir weiter unten sehn.

Aber nicht nur der Kleinbauer soll in seinem Eigentum geschützt werden. Es ist ebenfalls

„angemessen, diesen Schutz auszudehnen auf die Produzenten, die unter dem Namen Pächter oder Teilpächter (metayers) fremdes Land bebauen und die, wenn sie Taglöhner ausbeuten, dazu gewissermaßen gezwungen sind durch die an ihnen selbst verübte Ausbeutung“.

Hier kommen wir schon auf ein ganz absonderliches Gebiet. Der Sozialismus richtet sich ganz speziell gegen die Ausbeutung der Lohnarbeit. Und hier wird es für die gebieterische Pflicht des Sozialismus erklärt, die französischen Pächter dabei zu schützen, wenn sie „Taglöhner ausbeuten„ – so heißt es wörtlich! Und zwar, weil sie gewissermaßen dazu gezwungen werden „durch die an ihnen selbst verübte Ausbeutung“!

Wie leicht und angenehm es sich doch abwärtsrutscht, ist man erst einmal auf der schiefen Ebene! Wenn nun der Groß- und Mittelbauer Deutschlands kommt und bittet die französischen Sozialisten, sich beim deutschen Parteivorstand zu verwenden, daß die deutsche sozialdemokratische Partei ihn schütze in der Ausbeutung seiner Knechte und Mägde, und sich dabei beruft auf die durch Wucherer, Steuereinnehmer, Getreidespekulanten und Viehhändler „an ihm selbst verübte Ausbeutung“ – was werden sie antworten? Und wer steht ihnen dafür, daß nicht auch unsre agrarischen Großgrundbesitzer ihnen den Grafen Kanitz schicken (der ja auch einen dem ihrigen ähnlichen Antrag auf Verstaatlichung der Getreideeinfuhr gestellt) und ebenfalls um sozialistischen Schutz bitten für ihre Ausbeutung der Landarbeiter, unter Berufung auf die „an ihnen selbst verübte Ausbeutung“ durch Börse, Zins- und Getreidewucherer?

Sagen wir hier gleich, daß unsre französischen Freunde es lange nicht so böse meinen, wie es den Anschein hat. Der obige Absatz soll nämlich nur einen ganz speziellen Fall treffen, nämlich diesen: Im Norden Frankreichs, wie in unsern Zuckerrübengebieten, wird den Bauern Land mit der Verpflichtung zum Rübenbau unter äußerst lästigen Bedingungen vermietet; sie müssen die Rüben an die bestimmte Fabrik zu dem von dieser festgesetzten Preis verkaufen, müssen bestimmten Samen kaufen, ein festgesetztes Quantum vorgeschriebner Düngung verwenden und werden obendrein noch bei der Ablieferung schmählich geprellt. Das alles kennen wir in Deutschland ja auch. Wollte man aber einmal diese Sorte Bauern unter seinen Schutz nehmen, so mußte man dies direkt und ausdrücklich sagen. Wie der Satz dasteht, in seiner unbegrenzten Allgemeinheit, ist er eine direkte Verletzung nicht nur des französischen Programms, sondern des Grundprinzips des Sozialismus überhaupt, und seine Verfasser werden sich nicht beklagen können, wenn diese nachlässige Redaktion von den verschiedensten Seiten gegen ihre Absicht ausgebeutet wird.

Derselben Mißdeutung fähig sind die Schlußworte der Motivierung, wonach die sozialistische Arbeiterpartei die Aufgabe hat,

„alle Elemente der ländlichen Produktion, alle Tätigkeiten, die unter verschiednen Rechtstiteln den nationalen Grund und Boden verwerten, zusammenzubringen in demselben Kampf gegen den gemeinsamen Feind: die Feudalität des Grundbesitzes“.

Ich leugne gradezu, daß die sozialistische Arbeiterpartei irgendeines Landes die Aufgabe hat, außer den Landproletariern und Kleinbauern auch die Mittel- und Großbauern, oder gar die Pächter großer Güter, die kapitalistischen Viehzüchter und die andern kapitalistischen Verwerter des ationalen Grund und Bodens in ihren Schoß aufzunehmen. Ihnen allen mag die Feudalität des Grundbesitzes als gemeinsamer Feind erscheinen. Wir mögen in gewissen Fragen mit ihnen zusammengehn, für bestimmte Zwecke eine Zeitlang an ihrer Seite kämpfen können. Aber in unsrer Partei können wir zwar Individuen aus jeder Gesellschaftsklasse, aber durchaus keine kapitalistischen, keine mittelbürgerlichen oder mittelbäuerlichen Interessengruppen gebrauchen. Auch hier ist es nicht so schlimm gemeint, wie es aussieht; an alles das haben die Verfasser offenbar gar nicht gedacht; leider aber ist der Generalisationsdrang mit ihnen durchgegangen, und es darf sie nicht wundern, wenn man sie eben beim Wort nimmt.

Nach der Motivierung kommen nun die neubeschlossenen Zusätze zum Programm selbst. Sie verraten dieselbe Flüchtigkeit der Redaktion wie jene.

Der Artikel, wonach die Gemeinden landwirtschaftliche Maschinen anschaffen und sie zu den Selbstkosten an die Bauern vermieten sollen, wird geändert dahin, daß die Gemeinden erstens Staatszuschüsse für diesen Zweck erhalten und zweitens die Maschinen den Kleinbauern gratis zur Verfügung stellen sollen. Diese weitere Konzession wird den Kleinbauern, deren Felder und Betriebsweise nur wenig Maschinengebrauch zulassen, sicher auf keinen besonders grünen Zweig helfen.

Ferner:

„Ersatz aller bestehenden indirekten und direkten Steuern durch eine einzige progressive Steuer auf alle Einkommen von mehr als 3.000 Franken.“

Eine ähnliche Forderung findet sich seit Jahren in fast jedem sozialdemokratischen Programm. Daß sie aber speziell im Interesse der Kleinbauern aufgestellt wird, ist neu und beweist nur, wie wenig man ihre Tragweite berechnet hat. Nehmen wir England. Dort beträgt das Staatsbudget 90 Millionen Pfund Sterling. Davon werden aufgebracht durch die Einkommensteuer 13Æ bis 14 Millionen, die übrigen 76 Millionen zum kleineren Teil durch Besteuerung von Geschäften (Post, Telegraphen, Stempel), zum weitaus größten Teil aber durch Auflagen auf die Massenkonsumtion, durch stets wiederholtes Abzwacken, in kleinen, unmerklichen, aber sich zu vielen Millionen aufsummierenden Beträgen, vom Einkommen aller Einwohner, vornehmlich aber der ärmeren. Und es ist in der heutigen Gesellschaft kaum möglich, die Staatsausgaben auf andere Weise zu decken. Gesetzt, man legte in England alle 90 Millionen den Einkommen von 120 Pfd.St. = 3.000 frs. und darüber in progressiver direkter Steuer auf. Die durchschnittliche jährliche Akkumulation, die jährliche Vermehrung des gesamten nationalen Reichtums, betrug 1865-1875 nach Giffen 240 Mill. Pfd. St. Sagen wir, sie sei jetzt gleich 300 Mill. jährlich; eine Steuerlast von 90 Mill. würde fast ein Drittel der gesamten Akkumulation verzehren. Mit anderen Worten, keine Regierung kann so etwas unternehmen außer einer sozialistischen; wenn die Sozialisten am Ruder sind, werden sie Dinge durchzuführen haben, bei denen jene Steuerreform nur als eine momentane, ganz unbedeutende Abschlagszahlung figuriert und wobei den Kleinbauern ganz andre Perspektiven eröffnet werden.

Man scheint auch einzusehn, daß die Bauern auf diese Steuerreform etwas lange warten müßten, und stellt ihnen daher „einstweilen“ (en attendant) in Aussicht:

„Abschaffung der Grundsteuer für alle selbstarbeitenden Bauern und Verminderung dieser Steuer für alle mit Hypotheken belasteten Grundstücke.“

Die letzte Hälfte dieser Forderung kann sich nur auf größere Bauerngüter beziehen, als die die Familie selbst bewirtschaften kann, sie ist also wiederum eine Begünstigung derjenigen Bauern, welche „Taglöhner ausbeuten“.

Ferner:

„Freiheit der Jagd und des Fischfangs ohne andre Beschränkungen als bedingt sind durch die Schonung des Wild- und Fischstandes und der wachsenden Ernten.“

Dies klingt sehr populär, aber der Nachsatz hebt den Vordersatz auf. Wieviel Hasen, Rebhühner, Hechte und Karpfen kommen denn schon jetzt in der gesamten Dorfflur auf jede Bauernfamilie? Etwa mehr, als daß man jedem Bauern einen Jagdtag und Fischtag im Jahr freigeben könnte?

„Herabsetzung des gesetzlichen und konventionellen Zinsfußes“ –

also erneuerte Wuchergesetze, erneuerter Versuch, eine Polizeimaßregel durchzuführen, die seit zweitausend Jahren stets und überall gescheitert ist. Kommt der Kleinbauer in die Lage, wo es für ihn das kleinere Übel ist, zum Wucherer zu gehn, so findet der Wucherer immer die Mittel, ihn auszusaugen, ohne dem Wuchergesetz zu verfallen. Diese Maßregel könnte höchstens zur Beschwichtigung des Kleinbauern dienen, Vorteil bringt sie ihm nicht; im Gegenteil, sie erschwert ihm den Kredit grade dann, wenn er ihn am nötigsten hat.

„Kostenfreie ärztliche Behandlung und Lieferung der Arzneien zum Kostenpreis“ –

dies ist jedenfalls keine spezielle Bauernschutzmaßregel; das deutsche Programm geht weiter und verlangt auch kostenfreie Arznei.

„Entschädigung der Familien einberufener Reservisten während der Dienstzeit“ –

besteht bereits, wenn auch in höchst unzureichender Gestalt, in Deutschland und Österreich und ist ebenfalls keine spezielle Bauernforderung.

„Herabsetzung der Transporttarife für Dünger und landwirtschaftliche Maschinen und Produkte“ –

ist in Deutschland im wesentlichen durchgeführt, und zwar hauptsächlich im Interesse der Großgrundbesitzer.

„Sofortige Vorbereitungsarbeiten zu einem Plan für öffentliche Arbeiten zur Verbesserung des Bodens und Hebung der landwirtschaftlichen Produktion“ –

läßt alles im weiten Feld der Unbestimmtheit und der schönen Versprechungen und liegt ebenfalls im Interesse vor allem des Großgrundbesitzes. Kurz, nach all dem gewaltigen theoretischen Anlauf der Motivierung geben uns die praktischen Vorschläge des neuen Agrarprogramms erst recht keinen Aufschluß, wie die französische Arbeiterpartei es fertigbringen will, die Kleinbauern im Besitz eines Parzelleneigentums zu erhalten, das nach ihrer eignen Aussage unrettbar dem Untergang geweiht ist.

 

 

II

In einem Punkt haben unsre französischen Genossen unbedingt recht: gegen den Kleinbauer ist in Frankreich keine dauernde Umwälzung möglich. Nur scheint mir, daß, um dem Bauern beizukommen, sie den Hebel nicht am richtigen Punkt angesetzt haben.

Sie gehn, wie es scheint, darauf aus, den Kleinbauer von heute auf morgen, womöglich schon für die nächste allgemeine Wahl zu gewinnen. Das können sie nur zu erreichen hoffen durch sehr gewagte allgemeine Zusicherungen, zu deren Verteidigung sie genötigt sind, noch weit gewagtere theoretische Erwägungen vom Stapel zu lassen. Sieht man dann näher zu, so findet man, daß die allgemeinen Zusicherungen sich selbst widersprechen (Zusage, einen Zustand erhalten zu wollen, den man selbst für unrettbar dem Untergang geweiht erklärt) und daß die einzelnen Maßregeln entweder ganz wirkungslos sind (Wuchergesetze) oder aber allgemeine Arbeiterforderungen oder solche, die auch dem Großgrundbesitz zugute kommen, oder endlich solche, deren Tragweite im Interesse des Kleinbauern keineswegs sehr bedeutend ist; so daß der direkt praktische Teil des Programms von selbst den ersten verfehlten Anlauf berichtigt und die gefährlich aussehenden großen Worte der Motivierung auf ein tatsächlich unschuldiges Maß reduziert.

Sagen wir es grade heraus: Bei den aus seiner ganzen ökonomischen Lage, seiner Erziehung, seiner isolierten Lebensweise entspringenden und durch die bürgerliche Presse und die Großgrundbesitzer genährten Vorurteilen können wir die Masse der Kleinbauern von heute auf morgen nur gewinnen, wenn wir ihnen etwas versprechen, wovon wir selbst wissen, daß wir es nicht halten können. Wir müssen ihnen eben versprechen, ihren Besitz nicht nur gegen alle anstürmenden ökonomischen Mächte unter allen Umständen zu schützen, sondern auch ihn von den ihn schon jetzt bedrückenden Lasten zu befreien: den Pächter in einen freien Eigentümer zu verwandeln, dem der Hypothek erliegenden Eigentümer seine Schulden zu bezahlen. Könnten wir das, so wären wir wieder da, von wo aus der heutige Zustand sich mit Notwendigkeit von neuem entwickelt. Wir hätten den Bauern nicht befreit, wir hätten ihm eine Galgenfrist verschafft.

Es ist aber nicht unser Interesse, den Bauer von heute auf morgen zu gewinnen, damit er uns, wenn wir das Versprechen nicht halten können, von morgen auf übermorgen wieder abfällt. Wir können den Bauer, der uns zumutet, ihm sein Parzelleneigentum zu verewigen, nicht als Parteigenossen brauchen, ebensowenig wie den kleinen Handwerksmeister, der sich als Meister verewigen will. Diese Leute gehören zu den Antisemiten. Mögen sie zu diesen gehn, sich von diesen die Rettung ihres kleinen Betriebs versprechen lassen; haben sie dort erfahren, was es mit diesen glänzenden Phrasen auf sich hat und welche Melodien die Geigen spielen, von denen der antisemitische Himmel voll hängt, dann werden sie in stets wachsendem Maß einsehn, daß wir, die wir weniger versprechen und die Rettung in einer ganz andern Richtung suchen, daß wir doch die sicherern Leute sind. Hätten die Franzosen, wie wir, eine lärmende antisemitische Demagogie, sie hätten den Fehler von Nantes schwerlich gemacht.

Was ist denn unsre Stellung zur Kleinbauernschaft? Und wie werden wir mit ihr verfahren müssen am Tag, wo uns die Staatsmacht zufällt?

Erstens ist der Satz des französischen Programms unbedingt richtig: daß wir den unvermeidlichen Untergang des Kleinbauern voraussehn, aber keineswegs berufen sind, ihn durch Eingriffe unsrerseits zu beschleunigen.

Und zweitens ist es ebenso handgreiflich, daß, wenn wir im Besitz der Staatsmacht sind, wir nicht daran denken können, die Kleinbauern gewaltsam zu expropriieren (einerlei, ob mit oder ohne Entschädigung), wie wir dies mit den Großgrundbesitzern zu tun genötigt sind. Unsre Aufgabe gegenüber dem Kleinbauer besteht zunächst darin, seinen Privatbetrieb und Privatbesitz in einen genossenschaftlichen überzuleiten, nicht mit Gewalt, sondern durch Beispiel und Darbietung von gesellschaftlicher Hilfe zu diesem Zweck. Und da haben wir allerdings Mittel genug, um dem Kleinbauer Vorteile in Aussicht zu stellen, die ihm schon jetzt einleuchten müssen.

Schon vor fast zwanzig Jahren haben die dänischen Sozialisten, die in ihrem Land nur eine eigentliche Stadt – Kopenhagen – besitzen, also außerhalb dieser fast nur auf Bauernpropaganda angewiesen sind, derartige Pläne entworfen. Die Bauern eines Dorfs oder Kirchspiels – es gibt in Dänemark viel große Einzelhöfe – sollten ihr Land zu einem großen Gut zusammenwerfen, es für gemeinsame Rechnung bebauen und den Ertrag nach Verhältnis der eingeschlossenen Bodenstücke, Geldvorschüsse und Arbeitsleistungen teilen. In Dänemark spielt der Kleinbesitz nur eine Nebenrolle. Wenden wir aber die Idee auf ein Parzellengebiet an, so werden wir finden, daß beim Zusammenwerfen der Parzellen und Großkultur ihrer Gesamtfläche ein Teil der bisher beschäftigten Arbeitskräfte überflüssig wird; in dieser Arbeitsersparnis liegt ja gerade einer der Hauptvorteile der Großkultur. Für diese Arbeitskräfte kann Beschäftigung gefunden werden auf zwei Wegen. Entweder man stellt der Bauerngenossenschaft weitere Landstrecken zur Verfügung aus benachbarten großen Gütern; oder aber man verschafft ihnen die Mittel und Gelegenheit zu industrieller Nebenarbeit, möglichst und vorwiegend für eigenen Gebrauch. In beiden Fällen stellt man sie in eine ökonomisch bessere Lage und sichert gleichzeitig der allgemein-gesellschaftlichen Leitung den nötigen Einfluß, um die Bauerngenossenschaft allmählich in eine höhere Form überzuführen und die Rechte und Pflichten sowohl der Genossenschaft im ganzen wie ihrer einzelnen Mitglieder mit denen der übrigen Zweige der großen Gemeinschaft auszugleichen. Wie das im einzelnen in jedem Spezialfall auszuführen, wird von den Umständen des Falls und von den Umständen abhängen, unter denen wir Besitz von der öffentlichen Gewalt ergreifen. So werden wir möglicherweise imstande sein, diesen Genossenschaften noch weitere Vorteile zu bieten: Übernahme ihrer Gesamthypothekenschuld durch die Nationalbank unter starker Zinsherabsetzung, Vorschüsse aus öffentlichen Mitteln zur Einrichtung des Großbetriebs (Vorschüsse nicht notwendig oder vorzugsweise in Geld, sondern in den nötigen Produkten selbst: Maschinen, Kunstdünger etc.) und noch andere Vorteile.

Die Hauptsache bei alledem ist und bleibt die, den Bauern begreiflich zu machen, daß wir ihnen ihren Haus- und Feldbesitz nur retten, nur erhalten können durch Verwandlung in genossenschaftlichen Besitz und Betrieb. Es ist ja grade die durch den Einzelbesitz bedingte Einzelwirtschaft, die die Bauern dem Untergang zutreibt. Beharren sie auf dem Einzelbetrieb, so werden sie unvermeidlich von Haus und Hof verjagt, ihre veraltete Produktionsweise durch den kapitalistischen Großbetrieb verdrängt. So liegt die Sache; und da kommen wir und bieten den Bauern die Möglichkeit, den Großbetrieb selbst einzuführen, nicht für kapitalistische, sondern für ihre eigne gemeinsame Rechnung. Daß dies in ihrem eignen Interesse, daß es ihr einziges Rettungsmittel ist, das sollte den Bauern nicht begreiflich zu machen sein?

Wir können nun und nimmermehr den Parzellenbauern die Erhaltung des Einzeleigentums und des Einzelbetriebs gegen die Übermacht der kapitalistischen Produktion versprechen. Wir können ihnen nur versprechen, daß wir nicht wider ihren Willen gewaltsam in ihre Eigentumsverhältnisse eingreifen werden. Wir können ferner dafür eintreten, daß der Kampf der Kapitalisten und Großgrundbesitzer gegen die Kleinbauern schon heute mit möglichst wenig unrechtlichen Mitteln geführt und direkter Raub oder Prellerei, wie sie nur zu häufig vorkommen, möglichst verhindert wird. Das wird nur ausnahmsweise gelingen. In der entwickelten kapitalistischen Produktionsweise weiß kein Mensch, wo die Ehrlichkeit aufhört und die Prellerei anfangt. Aber es wird immer einen bedeutenden Unterschied machen, ob die öffentliche Gewalt auf Seite des Prellers oder des Geprellten steht. Und wir stehn ja entschieden auf Seite des Kleinbauern; wir werden alles nur irgend Zulässige tun, um sein Los erträglicher zu machen, um ihm den Übergang zur Genossenschaft zu erleichtern, falls er sich dazu entschließt, ja sogar um ihm, falls er diesen Entschluß noch nicht fassen kann, eine verlängerte Bedenkzeit auf seiner Parzelle zu ermöglichen. Wir tun dies nicht nur, weil wir den selbstarbeitenden Kleinbauer als virtuell zu uns gehörend betrachten, sondern auch aus direktem Parteiinteresse. Je größer die Anzahl der Bauern ist, denen wir den wirklichen Absturz ins Proletariat ersparen, die wir schon als Bauern für uns gewinnen können, desto rascher und leichter vollzieht sich die gesellschaftliche Umgestaltung. Es kann uns nicht dienen, wenn wir mit dieser Umgestaltung warten müßten, bis die kapitalistische Produktion sich überall bis auf ihre letzten Konsequenzen entwickelt hat, bis auch der letzte Kleinhandwerker und der letzte Kleinbauer dem kapitalistischen Großbetrieb zum Opfer gefallen sind. Die materiellen Opfer, die in diesem Sinn im Interesse der Bauern aus öffentlichen Mitteln zu bringen sind, können vom Standpunkt der kapitalistischen Ökonomie aus nur als weggeworfenes Geld erscheinen, aber sie sind trotzdem eine vortreffliche Anlage, denn sie ersparen vielleicht den zehnfachen Betrag bei den Kosten der gesellschaftlichen Reorganisation überhaupt. In diesem Sinn können wir also sehr liberal mit den Bauern verfahren. Auf einzelnes einzugehn, bestimmte Vorschläge in dieser Richtung zu machen, ist hier nicht der Ort; es kann sich hier nur um die allgemeinen Grundzüge handeln.

Hiernach also können wir nicht nur der Partei, sondern auch den Kleinbauern selbst keinen schlimmeren Dienst erweisen als durch Zusagen, die auch nur den Schein erwecken, wir beabsichtigten die dauernde Erhaltung des Parzelleneigentums. Das hieße den Bauern direkt den Weg zu ihrer Befreiung versperren und die Partei herabwürdigen auf das Niveau des Radau-Antisemitismus. Im Gegenteil. Es ist die Pflicht unsrer Partei, den Bauern immer und immer wieder die absolute Rettungslosigkeit ihrer Lage, solange der Kapitalismus herrscht, klarzumachen, die absolute Unmöglichkeit, ihnen ihr Parzelleneigentum als solches zu erhalten, die absolute Gewißheit, daß die kapitalistische Großproduktion über ihren machtlosen veralteten Kleinbetrieb hinweggehn wird wie ein Eisenbahnzug über eine Schubkarre. Tun wir das, so handeln wir im Sinne der unvermeidlichen ökonomischen Entwicklung, und diese wird den Kleinbauern schon offne Köpfe machen für unsere Worte.

Im übrigen kann ich diesen Gegenstand nicht verlassen, ohne die Überzeugung auszusprechen, daß auch die Verfasser des Programms von Nantes im wesentlichen mit mir derselben Ansicht sind. Sie sind viel zu einsichtig, um nicht zu wissen, daß auch das jetzt im Parzelleneigentum befindliche Landgebiet bestimmt ist, in Gemeinbesitz überzugehn. Sie selbst geben zu, daß das Parzelleneigentum berufen ist zu verschwinden. Das von Lafargue verfaßte Referat des Nationalrats auf dem Kongreß von Nantes bestätigt denn auch diese Ansicht vollauf. Es ist deutsch veröffentlicht im Berliner Sozialdemokrat vom 18. Oktober d.J. Das Widerspruchsvolle in der Ausdrucksweise des Programms von Nantes verrät schon, daß das, was die Verfasser wirklich sagen, nicht das ist, was sie zu sagen beabsichtigen. Werden sie nicht verstanden und ihre Aussage gemißbraucht, wie das in der Tat schon geschehen ist, so ist das allerdings ihre eigne Schuld. Jedenfalls werden sie ihr Programm näher erklären und wird der nächste französische Kongreß es gründlich revidieren müssen.

Kommen wir nun zu den größren Bauern. Hier findet sich infolge hauptsächlich von Erbteilungen, aber auch von Verschuldung und Zwangsverkäufen von Land, eine ganze Musterkarte von Zwischenstufen vom Parzellenbauer bis zum Großbauer, der seine volle alte Hufe und selbst darüber besitzt. Wo der Mittelbauer unter Parzellenbauern wohnt, wird er in seinen Interessen und Anschauungen sich von diesen nicht wesentlich unterscheiden; muß ihm doch die eigne Erfahrung sagen, wie viele seinesgleichen schon zu Kleinbauern herabgesunken sind. Wo aber Mittel- und Großbauern vorherrschen und der Wirtschaftsbetrieb allgemein die Hilfe von Knechten und Mägden erfordert, da steht die Sache ganz anders. Eine Arbeiterpartei hat natürlich in erster Linie für die Lohnarbeiter einzutreten, also für die Knechte, Mägde und Taglöhner; es verbietet sich ihr damit von selbst, den Bauern irgendwelche Versprechungen zu machen, die die Fortdauer der Lohnknechtschaft der Arbeiter einschließen. Solange aber die Groß- und Mittelbauern als solche fortbestehn, solange können sie ohne Lohnarbeiter nicht auskommen. Ist es also von unsrer Seite eine einfache Torheit, den Parzellenbauern ihre dauernde Fortexistenz als Parzellenbauern in Aussicht zu stellen, so grenzte es schon direkt an Verrat, wollten wir den Groß- und Mittelbauern dasselbe versprechen.

Wir haben hier wieder die Parallele mit den Handwerkern der Städte. Sie sind zwar schon mehr dem Ruin verfallen als die Bauern, aber es gibt doch auch noch welche, die neben Lehrlingen Gesellen beschäftigen oder bei denen Lehrlinge Gesellenarbeit tun. Diejenigen dieser Handwerksmeister, die als solche sich verewigen wollen, mögen zu den Antisemiten gehn, bis sie sich überzeugt haben, daß ihnen auch dort nicht geholfen wird. Die übrigen, die die Unvermeidlichkeit des Untergangs ihrer Produktionsweise eingesehn, kommen zu uns, sind aber auch bereit, in der Zukunft das Schicksal zu teilen, das allen andern Arbeitern bevorsteht. Nicht anders mit den Groß- und Mittelbauern. Ihre Knechte, Mägde und Taglöhner interessieren uns selbstredend mehr als sie. Wollen diese Bauern die Garantie der Fortdauer ihres Betriebs, so können wir ihnen das absolut nicht bieten. Ihr Platz ist dann bei den Antisemiten, Bauernbündlern und dergleichen Parteien, die sich ein Vergnügen daraus machen, alles zu versprechen und nichts zu halten. Wir haben die ökonomische Gewißheit, daß auch der Groß- und Mittelbauer vor der Konkurrenz des kapitalistischen Betriebs und der wohlfeilen überseeischen Kornproduktion unfehlbar erliegen muß, wie die wachsende Verschuldung und der überall sichtbare Verfall auch dieser Bauern beweist. Wir können gegen diesen Verfall nichts tun, als auch hier die Zusammenlegung der Güter zu genossenschaftlichen Betrieben empfehlen, bei denen die Ausbeutung der Lohnarbeit mehr und mehr beseitigt und die allmähliche Verwandlung in gleichberechtigte und gleichverpflichtete Zweige der großen nationalen Produktionsgenossenschaft eingeleitet werden kann. Sehen diese Bauern die Unvermeidlichkeit des Untergangs ihrer jetzigen Produktionsweise ein, ziehen sie die notwendigen Konsequenzen daraus, so kommen sie zu uns, und es wird unsres Amtes sein, auch ihnen den Übergang in die veränderte Produktionsweise nach Kräften zu erleichtern. Andernfalls müssen wir sie ihrem Schicksal überlassen und uns an ihre Lohnarbeiter wenden, bei denen wir schon Anklang finden werden. Von einer gewaltsamen Expropriation werden wir auch hier wahrscheinlich absehen und im übrigen darauf rechnen können, daß die ökonomische Entwicklung auch diese härteren Schädel der Vernunft zugänglich machen wird.

Ganz einfach liegt die Sache nur beim Großgrundbesitz. Hier haben wir unverhüllten kapitalistischen Betrieb, und da gelten keine Skrupel irgendwelcher Art. Wir haben hier Landproletarier in Massen vor uns, und unsre Aufgabe ist klar. Sobald unsre Partei im Besitz der Staatsmacht ist, hat sie die Großgrundbesitzer einfach zu expropriieren, ganz wie die industriellen Fabrikanten. Ob diese Expropriation mit oder ohne Entschädigung erfolgt, wird großenteils nicht von uns abhängen, sondern von den Umständen, unter denen wir in den Besitz der Macht kommen, und namentlich auch von der Haltung der Herren Großgrundbesitzer selbst. Eine Entschädigung sehen wir keineswegs unter allen Umständen als unzulässig an;

Marx hat mir – wie oft! – als seine Ansicht ausgesprochen, wir kämen am wohlfeilsten weg, wenn wir die ganze Bande auskaufen könnten. Doch das geht uns hier nichts an. Die so der Gesamtheit zurückgegebenen großen Güter hätten wir den sie schon jetzt bebauenden, in Genossenschaften zu organisierenden Landarbeitern zur Benutzung unter Kontrolle der Gesamtheit zu überlassen. Unter welchen Modalitäten, darüber läßt sich jetzt noch nichts feststellen. Jedenfalls ist die Verwandlung des kapitalistischen Betriebs in gesellschaftlichen hier schon vollständig vorbereitet und kann über Nacht vollzogen werden, ganz wie z.B. bei Herrn Krupps oder Herrn von Stumms Fabrik. Und das Beispiel dieser Ackerbaugenossenschaften würde auch die letzten etwa noch widerstrebenden Parzellenbauern und wohl auch manche Großbauern von den Vorteilen des genossenschaftlichen Großbetriebs überzeugen.

Hier also können wir den Landproletariern eine Aussicht eröffnen, ebenso glänzend wie die, welche dem Industriearbeiter winkt. Und hiermit die Landarbeiter des ostelbischen Preußens zu erobern, kann für uns nur eine Frage der Zeit, und zwar der kürzesten, sein. Haben wir aber die ostelbischen Landarbeiter, so weht sofort in ganz Deutschland ein anderer Wind. Die tatsächliche halbe Leibeigenschaft der ostelbischen Landarbeiter ist die Hauptgrundlage der preußischen Junkerherrschaft und damit der spezifisch preußischen Oberherrschaft in Deutschland. Es sind die ostelbischen, mehr und mehr der Verschuldung, Verarmung, dem Schmarotzertum auf Staats- und Privatkosten verfallenden und ebendeshalb um so gewaltsamer sich an ihre Herrschaft ankrallenden Junker, die den spezifisch preußischen Charakter der Bürokratie wie des Offizierskorps der Armee geschaffen haben und erhalten; deren Hochmut, Beschränktheit und Arroganz das Deutsche Reich preußischer Nation im Inland – bei aller Einsicht in seine augenblickliche Unvermeidlichkeit als derzeit einzig erlangbare Form der nationalen Einheit – so verhaßt und im Ausland, trotz aller glänzenden Siege, so wenig respektiert gemacht haben. Die Macht dieser Junker beruht darauf, daß sie in dem geschlossenen Gebiet der sieben altpreußischen Provinzen – also etwa einem Drittel des ganzen Reichsgebiets – über den Grundbesitz verfügen, der hier die gesellschaftliche und politische Macht mit sich führt, und nicht nur über den Grundbesitz, sondern vermittelst der Rübenzuckerfabriken und Schnapsbrennereien auch über die bedeutendsten Industrien dieses Gebiets. Weder die Großgrundbesitzer des übrigen Deutschlands noch die Großindustriellen sind in einer ähnlich günstigen Lage; über ein geschlossenes Königreich verfügen weder diese noch jene. Beide sind über weite Strecken zerstreut und miteinander wie mit andern sie umgebenden gesellschaftlichen Elementen in Konkurrenz um die ökonomische und politische Vormacht. Aber diese Machtstellung der preußischen Junker verliert mehr und mehr ihre ökonomische Unterlage. Die Verschuldung und Auspowerung greift auch hier trotz aller Staatshilfe (und seit Friedrich II. gehört diese in jedes regelrechte Junkerbudget) unaufhaltsam um sich; nur die durch Gesetzgebung und Gewohnheit sanktionierte tatsächliche halbe Leibeigenschaft und hierdurch ermöglichte grenzenlose Ausbeutung der Landarbeiter hält die versinkende Junkerschaft noch eben über Wasser. Werft den Samen der Sozialdemokratie unter diese Arbeiter, gebt ihnen den Mut und den Zusammenhalt, auf ihren Rechten zu bestehen, und es ist aus mit der Junkerherrlichkeit. Die große reaktionäre Macht, die für Deutschland dasselbe barbarische, erobernde Element repräsentiert wie der russische Zarismus für ganz Europa, sinkt in sich zusammen wie eine angestochne Blase. Die „Kernregimenter“ der preußischen Armee werden sozialdemokratisch, und damit vollzieht sich eine Machtverschiebung, die eine ganze Umwälzung in ihrem Schoße trägt. Darum aber ist die Gewinnung der ostelbischen Landproletarier von weitaus größerer Wichtigkeit als die der westdeutschen Kleinbauern oder gar der süddeutschen Mittelbauern. Hier, im ostelbischen Preußen, liegt unser entscheidendes Schlachtfeld, und deshalb wird Regierung und Junkerschaft alles aufbieten, uns hier den Zugang zu verschließen. Und wenn es – wie man uns droht – zu neuen Gewaltmaßregeln kommen sollte zur Verhinderung der Ausbreitung unserer Partei, so wird dies geschehen vor allem, um das ostelbische Landproletariat vor unserer Propaganda zu schützen. Uns kann’s gleich sein. Wir erobern es doch.

 


Zuletzt aktualisiert am 12.10.2003