Karl Kautsky

Serbien und Belgien in der Geschichte
Österreich und Serbien


2. Österreich und die Türken


Die Türken, ein kriegerisches Nomadenvolk aus Zentralasien, drangen im dreizehntenn Jahrhundert über Persien nach Kleinasien vor, wo sie einen Staat begründeten, den sie als Kriegerkaste beherrschten und ausschließlich kriegerischen Zwecken dienstbar machten. Bald setzten sie sich auf der Balkanhalbinsel fest, zerstörten die Reste des byzantinischen Reiches und seiner Kultur, wurden überall, wohin sie gelangten, zur Geißel der Menschheit.

Im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts überschriten sie bei Belgrad die Donau, sie wurden zu einer Gefahr für Ungarn, das 1525 in der Schlacht bei Mohacs an sie verloren ging, in derselben Schlacht, in der Ungarns letzter selbständiger König Ludwig II. das Leben verlor, wodurch Ungarn an den mit Ludwigs Schwester Anna vermählten Habsburger Ferdinand kam. Die Habsburger erlangten Ungarn nur, um es an das Türkische Reich zu verlieren, mit dem sie nun um die Beute mit wechselndem Glücke kämpften.

In dieser Abwehr der türkischen Invasion verfochten sie die Interessen nicht bloß ihrer Erbländer, sondern auch die Deutschlands, das von den Türken bedroht war, sobald es diesen gelang, das habsburgische Bollwerk zu überrennen.

Doch die Habsburger, von deutschen und italienischen Händeln in Anspruch genommen, brachten im allgemeinen nur wenig Kraft für ihre internationale Kulturaufgabe gegenüber dem Osten auf. Nur mit Mühe gelang es, die Türken an der Eroberung Wiens zu hindern, das zweimal von ihnen belagert wurde, 1529 und 1683.

Wenn es schließlich dazu kam, die Türken dauernd zurückzudrängen, so rührte dies nicht daher, daß die Habsburger ihre Kraft nach Osten konzentrierten sondern daher, daß die Kraft der Türken rasch verfiel.

Dieser barbarische Kriegerstaat erzeugte Bedingungen, die eine industrielle wie eine wissenschaftliche Entwicklung unmöglich machtet und sogar dem Handel große Schwierigkeiten bereiteten. Es war gerade das Vordringen der Türken, das den Landweg von Europa nach Indien unterband, die Völker des Westens drängte, neue Wege zur See nach Indien zu suchen, wodurch das Zeitalter der Entdeckungen eingeleitet, die Welt mit einem Schlag enorm erweitert und ihr ökonomischer Schwerpunkt vom Mittelmeer an den Atlantischen Ozean verlegt wurde. Alles das brachte das ökonomische Leben in den türkischen Besitzungen zum Erstarren, während gleichzeitig in Europa ein Zeltalter des größten wissenschaftlichen und industriellen Autschwunges anhob.

Dieser wachsende Gegensatz zwischen dem rasch aufsteigenden Westen und dem verfallenden Osten äußerte seine Wirkungen auch in den Finanzen und dem Kriegswesen, das ohne Geld, ohne Wissen, ohne Industrie nicht mehr konkurrenzfähig blieb. Der türkische Solsat behielt die Eigenschaften, die ihn zum gefürchtesten Europas gemacht hatten, seine wilde Todesverachtung und seine zähe Ausdauer, aber diese Eigenschaften allein entschieden nicht mehr die Schlachten. Aus einem Gegenstand des Schreckens wurden seit dem achtzehnten Jahrhundert die Türken bald ein Gegenstand des Mitleids.

Zum letzten Male flößten sie der Christenheit Furcht ein, als sie Wien zum zweiten Male belagerten, 1683. Seitdem sie dort geflogen waren, erlitten sie rasch Niederlage auf Niederlage. Im Frieden von Karlowitz 1699 wurde bereits ganz Ungarn befreit.

Nach neuerlichem Kriege erlangte Österreich im Frieden von Passarowitz (1718) sogar über Ungarn hinaus Gebiete, um die es heute wieder kämpft, den Norden Bosniens sowie ein großes Stück Serbiens und der Walachei. Doch in einem späteren Kriege blieb ihm das Stück nicht treu, im Frieden von Belgrad 1729 mußte es die Eroberungen von Passarowitz wieder herausgeben.

Wohl ging der Verfall der Türkei weiter, aber Österreich kam nicht so bald mehr in die Lage, ihn auszubeuten. Ein Jar nach dem Belgrader Frieden gelangte Friedrich II. in Preußen gleichzeitig mit Maria Theresia in Österreich auf den Thron. Nun begann das jahrzehntelange Ringen der beiden, das Österreichs ganze Kraft in Anspruch nahm. Noch waren seine Wunden nicht verheilt, da brach die französische Revolufion auf und rief die Monarchie der Habsburger auf den Plan, sowohl zur Durchsetzung der Gegenrevolution in Frankreich wie zur Bebauptung ihrer durch die Ausbreitung der Revolution bedrohten Position in Italien.

Nach dem furchtbaren Ringen der Napoleonischen Kriege kam Ruhe für Europa, aber eine Ruhe sehr äußerlicher Art. Die demokrafische Bewegung sprang von Frankreich nach Deutschland und Italien über und nahm hier wie dort einen nationalen Charakter an. Und hier wie dort fühlte sich Österreich durch sie bedroht. Sein Staatsmann Metternich wurde zur Verkörperung der Reaktion. Nach 1848 konnte dann eine Art Einigung Deutschlands und Italiens durch Kriege gegen Österreich durchgesetzt werden, 1859 und 1866.

Nun erst, nachdem es definitiv aus Deutschland und Italien herausgeworfen war, konnte es seine Kraft wieder dem nahen Orient zuwenden.

Aber dort hatte sich die Situation gänzlich gewandelt. Die Türkei hatte nicht nur aufgehört eine Gefahr, sie schien auch aufgehört zu haben, eine Beute für Österreich zu sein. Die Erhaltung der Türkei wurde jetzt seine Aufgabe. Die große Gefaht von Osten drohte ihm nicht mehr vom Sultan, sondern vom Zaren.


Zuletzt aktualisiert am 3. Mai 2019